Melody Moonchild & die Freundschaft
„Guten Morgen, liebe Lehrerin Rose“, flüsterte Melody Moonchild.
In Gedanken natürlich.
Melody war wieder sehr früh aufgestanden und hinaus in den Garten gestromert.
Hatte sich ins weiche Gras gesetzt.
Direkt neben ihrer neuen Freundin, der Rose.
„Guten Morgen, liebe Melody“, flötete die Rose, „wie hast du heute Nacht geschlafen?“
„Wie ein Stein. Ganz friedlich und ganz ruhig.“
„Wie schön“, freute sich die Rose. Und fast dachte Melody, sie hätte ein Lächeln auf den Blütenblättern der Rose gesehen.
„Was darf ich heute lernen?“, fragte Melody.
„Heute erzähle ich dir eine Geschichte über Freundschaft“, erklärte die Rose.
Melody machte es sich im Gras gemütlich und lauschte der sanften Stimme ihrer Blumen-Freundin…
„ES WAR EINMAL ein kleiner Kolibri.
Der Kolibri lebte im Dschungel in Südamerika. Inmitten von Millionen von Bäumen und verschiedenen Tieren.
Dem Kolibri gefiel der Dschungel sehr, denn er war voller Geräusche.
Das SSSSSSSS von Insekten.
Das SCHSCHSCHSCH der Abermillionen von grünen Blättern ringsumher.
Das KEKEKEKEKE der Affen, die lustig von Baum zu Baum sprangen.
Leider hatte der Kolibri sich an einem Flügel verletzt. Und nun konnte er nicht mehr lustig umherfliegen.
Traurig und ängstlich hüpfte der Kleine durch den dichten Dschungel. Jetzt würde er leichte Beute für Raubtiere sein.
Und schon sprang ein großer, gefleckter Jaguar aus einem Busch heraus.
Er öffnete sein gefährliches Maul.
Fletschte die spitzen Zähne.
Und knurrte hungrig: RRRRRRRR.
Das Herz des kleinen Kolibris klopfte panisch. Jetzt würde er gefressen werden…
Aber er versuchte sein Glück und bot dem Jaguar seine Freundschaft an:
„Lieber Jaguar, lass uns doch Freunde sein!“, piepste er.
„Freunde?“, höhnte der Jaguar, „ich brauche keine Freunde.“
„Hast du denn welche?“, fragte der Kolibri schlau.
Der Jaguar stutze und überlegte.
„Nein“, sagte er dann. „Brauche ich aber auch nicht. Ich habe seit 2 Wochen nichts gegessen. Wenn ich dich nicht auffresse, werde ich verhungern.“
„Freundschaft ist wichtiger als Hunger. Einem Freund kann man nämlich vertrauen“, piepte der Kolibri mit zitternder Stimme.
„Vertrauen“, grollte der Jaguar und sah den Kolibri interessiert an.
„Ja“, lachte der Kolibri.
Der Jaguar öffnete sein riesiges Maul noch weiter. Seine spitzen, weißen Zähne funkelten.
„Also wenn du mein Freund sein willst, dann komm!“, forderte der Jaguar den Kolibri auf.
„Spring‘ in mein Maul!“
Der Kolibri piepste erschrocken: „Aber dann frisst du mich auf. Ich bin doch nicht blöd.“
„Freundschaft beginnt mit Vertrauen“, brummte der Jaguar, ohne sein Maul zu schließen.
Mit großen Augen starrte der Kolibri den Jaguar an.
Dann nahm er all seinen Mut zusammen.
Mit kleinen Sprüngen hüpfte er auf den grinsenden Jaguar zu.
Dann hopste er mitten ins geöffnete Maul des Jaguars.
Und blieb zitternd auf dessen Zunge sitzen.
Der Kolibri schloss die Augen und wartete auf den Biss der entsetzlich großen Zähne.
Aber nichts passierte.
Dann lachte der Jaguar. Seine Stimme klang ein bisschen dumpf, denn er hatte ja einen Kolibri im Maul.
„Du hast Recht, kleiner Kolibri“, sagte er anerkennend. „Freundschaft ist größer als Hunger.“
„Stimmt“, piepste der Kolibri kleinlaut. „Und Freundschaft ist auch größer als Angst.“
Und so wurden die beiden die besten Freunde.
Der Jaguar beschützte den Kolibri, wenn er in Gefahr war.
Wenn zum Beispiel eine Riesen-Anakonda den Kolibri überraschte!
Dann hüpfte der Kolibri schnell ins Maul des Jaguars, und der Jaguar schaute die Anakonda böse an, bis sie sich davon machte.
Und so lernten die beiden, einander zu vertrauen.“
„Wow“, staunte Melody, als die Rose zu Ende erzählt hatte. „Was für eine wunderschöne Geschichte…“
Melody streichelte sanft die Blütenblätter der Rose.
„Weißt du, Melody“, flüsterte die Rose. „Alle Liebe fängt mit Vertrauen an. Die Menschen wollen gerne das Leben lieben, aber sie schaffen es nicht. Weißt du jetzt wieso?“
„Ja“, flüsterte Melody andächtig zurück. „Weil sie dem Leben nicht vertrauen.“
Die Rose schien zu lächeln.
Am Abend erzählte Melody ihren Eltern von der Lektion der Rose.
Und obwohl Mama und Papa ihr nicht so ganz glaubten, dass sie wirklich mit einer Rose gesprochen hatte, staunten sie über die Geschichte mit dem Jaguar und dem Kolibri.
„Ich vertraue dir, Papa. Und dir, Mama“, sagte Melody. „Und der Rose und dem Kastanienbaum.“
Dann umarmte sie ihre Eltern und eilte die knarrende Treppe hoch in ihr Zimmer, um schlafen zu gehen.