Die Geschichten der Melody Moonchild – Storry 3

Melody Moonchild & der sprechende Baum

Melody Moonchild träumte.
Einen schönen Traum.
Von ihrer Freundin, der Schnee-Eule Luzie-Lu.
Und von ihrer Freundin, der magischen Fee.
Dann wachte sie auf. Ganz plötzlich.
Ihr Zimmer war dunkel, durchs Fenster konnte sie unscharf den Halbmond am Nachthimmel sehen. Warum war sie aufgewacht?
Es war, als ob jemand sie gerufen hätte.

Melody stand auf. Rieb sich verschlafen die Augen. Gähnte.
Sie suchte ihr kleines Plüsch-Einhorn.
Aber das hatte sie ja Jonas geschenkt.
Sie schaute zum Fenster hinaus. Betrachtete den riesigen Kastanienbaum im Garten, der sich ganz leicht im Wind neigte.

Sie bemerkte einen dunkelblauen Schmetterling, der träge auf ihr Fenster zu flatterte.
Der Schmetterling setzte sich außen auf das Glas. Er schien sie anzuschauen.
Was für eine mysteriöse Nacht!
Melody berührte die kalte Scheibe ihres Zimmerfensters. Genau da wo außen der Schmetterling saß. Der Schmetterling zuckte mit seinen Flügeln, dann flog er ins Dunkel der Nacht, auf den alten Kastanienbaum zu.

In den letzten beiden Nächten war Melody einer weisen Schnee-Eule und einer echten Fee (mit echtem Feenstaub) begegnet. Also vielleicht, nur vielleicht, begann heute Nacht ihr drittes Abenteuer…?
Schnell trippelte Melody nach unten, zog ihre Gummistiefel an, die mit den rosa Elefanten darauf, und öffnete leise die Haustür.
Es war ja Quarantäne-Dings, aber in den Garten durfte sie.
Und alleine in die Dunkelheit?
Schnell sagte sie ihren Zauberspruch auf:

„Schuuhuuu, Luzie-Lu, Schuuhuuu“.

Und schon spürte sie das Licht in ihrem Herzen und die Angst verflog.

Vorsichtig schlich Melody zu der alten Kastanie, die sich dunkel vor dem Nachthimmel erhob. Das Mondlicht warf silbrig glänzendes Licht auf die dicken, knorrigen Äste des Baumriesen.
Als Melody mit klopfendem Herzen vor der Kastanie stand, bemerkte sie den blauen Schmetterling, der auf der dicken Rinde des Baumstammes saß. Er flatterte lustig mit den Flügeln.
„Melody…“, flüsterte eine Stimme.
Aber nicht in Melodys Ohren, nein, eher in ihrem… Kopf.
Wie ein Gedanke, der einem plötzlich zufliegt.
„Äh, ja. Hallo…? Wer spricht?“, sagte sie laut.
Keine Antwort.
Aber der dunkelblaue Schmetterling flatterte wieder wie wild mit den Flügeln. Dann segelte er los und verschwand.
Melody näherte sich dem dicken Stamm der Kastanie.
Vorsichtig legte sie eine Hand auf die raue Rinde.
„Hallo, Melody“, tönte wieder die tiefe, aber sanfte Stimme in ihren Gedanken.
„Magst du mich umarmen?“

Melodys Mund blieb offen stehen vor Staunen.
Hatte die Kastanie sie gerade gefragt, ob sie sie umarmen wollte?
Bäume können doch nicht sprechen. Sie haben doch gar keinen Mund…
Aber gut, Melody Moonchild liebte Abenteuer und also breitete sie die Arme aus. Sie legte sie um den dicken Stamm der Kastanie.
„Ah, das tut gut“, sagte die Stimme in ihren Gedanken.
Melody zuckte erschrocken zusammen.
Sie redete mit einem Baum!
In ihren Gedanken!
„Was jetzt?“, fragte sie. Nicht mit ihrem Mund, sondern auch mit einem Gedanken.
„Leg‘ deine Stirn an meine Rinde“, schlug die Kastanie vor.
Und Melody legte ihre Stirn an die harte Rinde des Baums.
Plötzlich fühlte sie ein sanftes, beruhigendes Vibrieren in sich.
Dieses Gefühl war neu.
Aber Melody hatte keine Angst.

„Du bist ein mutiges Mädchen“, sagte der Baum.
„Und du bist ganz schön alt“, dachte Melody lächelnd.
„253 Jahre“, sagte die Kastanie stolz.
„Wow, ich bin erst acht“, dachte Melody.
„Und in all den 253 Jahren bist du das mutigste Mädchen, das ich gesehen habe“, sagte der Baum.
Melody errötete. Ein Kompliment von einem Baum. Das war ja schon etwas Besonderes…!
„Können alle Menschen mit Bäumen sprechen?“, fragte sie. In Gedanken, natürlich.
„Nein“, sagte der Baum leise. „Um mit Bäumen zu sprechen, muss man Geduld haben. Man muss zuhören können. Und das haben die Menschen leider beides vergessen.“

„Ich mag mit dir reden“, sagte Melody liebevoll.
„Und ich habe ein Geschenk für dich“, sagte der Baum.
Melody schaute die Kastanie fragend an.
„Schau‘ mal, über dir“, raunte der Baum. „Siehst du das Astloch da?“
Melody schaute an der knorrigen Rinde hoch, und ja: da war ein Astloch. Etwa eine Handbreit über ihrem Kopf.
„Durch die Astlöcher kann meine Seele nach draußen schauen“, sagte die Kastanie.
„Ihr Bäume habt eine Seele?“, fragte Melody neugierig.
„Na klar“, lachte der Baum. „Meinst du, nur ihr Menschen habt die?“

Melody streckte sich.
Melody reckte sich.
Melody streckte ihre Hand aus.
Und ihre Finger fanden etwas.
Etwas Kaltes, aus Metall und Glas.
Melody schloss ihre Finger um den geheimen Gegenstand.
Zog ihn heraus.
Öffnete ihre Hand und schaute staunend auf ihren Fund.
Es war eine silberne Kette, an der ein dunkelblauer Anhänger hing.
Ein Schmetterling aus Glas.
Die Kette war wunderschön. Sie funkelte magisch im silbrigen Mondlicht.
„Darf ich sie anziehen?“, fragte Melody. In Gedanken natürlich.
„Aber sicher“, lachte der Baum.
Melody legte die Kette um ihren Hals, dann umarmte sie die Kastanie dankbar.
„Es ist ein Zauber-Anhänger“, sagte die Kastanie.
„Vor vielen, vielen Jahren gehörte sie einem Mädchen, das hier lebte. Ein Mädchen, das fast genau so mutig war wie du. Und als das Mädchen eine alte Großmutter war, hat sie mir den Anhänger anvertraut. Und hat mir gesagt, dass ich ihn eines Tages einem mutigen Mädchen geben soll…“

Melody drückte ihre Stirn gegen die harte Baumrinde.
„Danke, liebe alte Frau“, sagte sie in Gedanken. „Danke, liebe Kastanie.“
„Ich freue mich, dass ich wieder jemanden zum Reden habe“, sagte die Kastanie.
„Was macht der Zauber-Anhänger?“, fragte Melody die Kastanie.
„Der kleine blaue Schmetterling aus Glas erlaubt dir, mit allen Pflanzen zu sprechen“, sagte die Kastanie mit tiefer, zauberischer Stimme.
„Mit allen?“, fragte Melody aufgeregt.
„Mit allen“, bestätigte die Kastanie.

Als Melody wieder in ihrem Bett lag, schlug ihr Herz so schnell wie noch nie.
Sie war einem Schmetterling gefolgt.
Sie hatte mit der alten Kastanie gesprochen.
Und sie hatte einen magischen Anhänger aus einer anderen Zeit gefunden.
Dankbar schloss sie ihre Finger um den dunkelblauen Schmetterling aus Glas.
Es gab also doch Wunder & Magie.
Und Melody Moonchild hatte das Gefühl, dass sie noch mehr davon finden würde…